Die Geschichte der Schifferfastnacht
Der alte Brauch der Elbeschiffer, die Schifferfastnacht, wird in den Dörfern an der Oberelbe seit Jahrhunderten begangen, in Postelwitz mindestens seit 1612.
Im Winter, wenn auf der Elbe starke Eisschollen treiben oder sie gar viele Wochen fest zugefroren war, musste die Schifffahrt ruhen, und die Schiffer waren ohne Arbeit. Nach kargen Winterwochen wurde der Beginn der Schifffahrt ersehnt. Deshalb wurde um die Monatswende Januar/Februar der Winter ausgetrieben, das geschah unter Beteiligung des ganzen Dorfes fröhlich und ausgelassen als Schifferfastnacht.
Die Ursprünge der Schifferfastnacht
Niemand weiß, wann und wo der Ursprung der Schifferfastnacht im Oberen Elbtal liegt. Als das Fest 1612 erstmals erwähnt wurde, hat es jedenfalls schon eine ganze Weile existiert.
So eigenartig es heute klingt: Im Elbsandsteingebirge wurde das Weihnachtsfest kaum gefeiert, vielmehr hatten sich Bräuche aus der Zeit der allerersten Besiedlung gehalten. So die "Lange Nacht" (Wintersonnwende), die mit Gesang und Tanz begangen wurde und eben die Schifferfastnacht.
Über die genaue Ursprungsgeschichte der Schifferfastnacht kann man nur noch mutmaßen.
Am naheliegendsten ist jedoch die Theorie des Austreibens des Winters. Nach monatelanger Abwesenheit im Sommer waren die Männer im Winter natürlich gern bei ihren Familien, Freunden und Bekannten. Die Arbeitslosigkeit im Winter zehrte jedoch das wenige Ersparte schnell auf, so dass die wärmeren Tage und der Beginn der Schifffahrt ersehnt wurden. Bei gegenseitigen Besuchen der Schifferfamilien im Winter ging es wahrscheinlich hoch her, was sich allmählich zu einem Dorffest ausweitete, woraus die Tradition des Winteraustreibens in den Monatswenden Januar/Februar entstand.
Die Schifferfastnacht war ein Fest, welches durch das ganze Dorf, sprich von den Schiffern und Steinbrechern, ausgerichtet wurde. Die Verbundenheit der Zünfte liegt nahe, wären doch die Schiffer ohne Steinbrüche brotlos gewesen. Überlieferte Aufzeichnungen über die Fastnacht von damals gibt es keine. Die ersten Aufzeichnugnen über das Fest stammen von ca. 1900, niedergeschrieben von Moritz Martin, Dorfschullehrer in Schöna. Er hat eine Beschreibung der Reinhardtsdorf-Schönaer Schifferfastnacht, wie sie seit Jahrhunderten bis in die 1880er Jahre abgehalten wurde, niedergeschrieben.
Viele Dinge aus seinem Bericht werden noch heute in Postelwitz, Schmilka oder Prossen zur Fastnacht gelebt. So ist der Umzug durch das Dorf mit der "Spitze", welcher u.a. den Vorläufer, die Weißen oder auch das Tragen von Schiffsmodellen beeinhaltet, detaliert beschrieben.
Die “Modernisierung” der Schifferfastnacht
In der Epoche der Industrialisierung wirkten die rustikalen Fastnachtsgebräuche der Schiffer und Steinbrecher, vor allem auf nicht hier Geborene, alles andere als zeitgemäß. Wie wir bei Lehrer Martin lesen konnten, ließ der Ärger nicht lange auf sich warten. Das Deutsche Reich schickte sich nämlich an, auch bei Gesetzen, Verboten, Verordnungen und Bürokratie die Weltspitze zu erreichen. Um sich den Spaßverderbern nicht geschlagen geben zu müssen, war es notwendig, das ganze Treiben im Sinne der neuen Zeit zu legitimieren, zu organisieren und zu disziplinieren. Die Schiffer gründeten daraufhin einen Verein. Auf diese Weise entstanden bis etwa 1910 auch die heute noch existierenden Schiffervereine des oberen Elbtales. Um Kritikern des Festes jeden Wind aus den Segeln zu nehmen, gab man dem Brauchtum noch einen offiziellen Anstrich. Die Kaiserliche Marine lieferte sich damals ein erbittertes Wettrüsten mit der britischen Royal Navy. Das war ein teurer Spaß, und so wurde im ganzen Reich Geld für die Flottenausrüstung gesammelt. Das geschah zum Teil sehr populistisch durch den Verkauf von Marinesouvenirs und andere Tricks. So war es beispielsweise beliebt, Kindern Matrosensachen anzuziehen. Marine war „in“, würde man heute sagen. Der Zeitgeist erfasste auch die Elbschiffer, und so wandelte sich ihre Ausgehtracht - wie wir sie heute noch bei den „Weißen“ im Umzug sehen - in eine blaue Marineuniform. Außerdem bereicherten jetzt Matrosen das Gesamtbild, die es ja in der Elbschifffahrt gar nicht gab. Auch der Umzug wurde zeitgemäß umgestaltet. Anstatt wie bisher von Haus zu Haus zu ziehen, schritt man nun in Paradeformation zu zünftiger Marschmusik. Zumindest die Spitze des Umzuges... Daran hat sich bis heute nicht mehr viel geändert.
Zerstörung der Tradition und Neuanfang
Der faschistische Krieg zerstörte diese Postelwitzer Tradition, denn es gab keinen Grund zum Fröhlichsein. Aber auch nach der Befreiung standen die Trauer um verlorene Familienangehörige, Sorgen und Nöte an vorderster Stelle.
Nach der Gründung der DDR, als sich die Lebensbedingungen von Tag zu Tag spürbar verbesserten, versuchten die Bürger Rudolf, Fiedler und Georg Friebel, dem Prossener Beispiel folgend, die Postelwitzer Einwohner wieder für die Schifferfastnacht zu gewinnen. Sie machten das auf eine recht drastische Art. In der Fastnachtsnacht 1951 trugen sie die Schifferfastnacht zu Grabe, Indem sie unterhalb des Singesteines ein Kreuz und einen Kranz mit Fastnachtsutensilien niederlegten. Der Anstoß half jedoch nicht. Im Gegenteil - die Fastnachtsutensilien waren nach der nächsten Nacht spurlos verschwunden. 1952 versuchten schon vier Unentwegte durch persönliche Gespräche, Bereitschaft und Initiative zu wecken, aber der Durchbruch wurde nicht erzielt. Werner Friebel und Rudolf Fiedler ließen sich jedoch nicht erschüttern und zogen am Fastnachtsnachmittag 1953 mit einigen anderen "Fastnachtsmusikern" durchs Dorf. Dieses offensive Herangehen klang mit einem Faschingstanz im "Cafe Häntzschel" aus. Der Bann war gebrochen.
Die Nationalen Front unter der Leitung von Erhard Friebel beschloss, dass dieses alte Volksgut künftig in würdiger Form gefeiert werden sollte. Seit 1954 wird die Schifferfastnacht wieder in traditioneller Form zelebriert.
Allerdings musste man erwähnen, dass die Fastnacht auch unter strenger Beobachtung der Stasi stand. Manch heikles politisches Thema wurde unter Anhörung des Stasi-Beauftragten ausgewertet. 1984 wurde die Tradition der Schifferfastnacht in Postelwitz Mitglied des Kulturbundes der DDR - Sektion "Schifffahrt".
Nach der politischen Wende 1989 begann eine neue Ära. Am 22. November 1991 wurde der Schifferverein Fortuna Postelwitz im Gasthaus von Friebel gegründet. Die Satzung wurde beschlossen und der erste Vorstand im wiedervereinigten Deutschland gewählt.
Die Schifferfastnacht heute
Die Schifferfastnacht ist heute zu einem gesellschaftlichen Ereignis in Postelwitz geworden. Schon viele Monate, bevor das fröhliche Treiben beginnt, wird heimlich gebastelt, gebaut und vorbereitet. Doch bleibt alles streng geheim, und erst am Fastnachtstage selbst, zum großen Umzug, werden die einzelnen "Rollen", wie sie bei uns heißen, gezeigt.
Für die Einwohner beginnt der Tag mit dem "Wecken" durch die Fleckelmänner. Schon am frühen Morgen machen sie sich auf den Weg, um mit ihren Trompeten und Tuten die Leute munter zumachen. Am Vormittag werden dann die letzten Vorbereitungen getroffen, Hausfrauen bereiten sich auf die nachmittäglichen Besuche vor, und die Blumenlädchen und Marketenderinnen sind auch schon auf den Beinen.
Dann ist es soweit. Um die Mittagszeit ist "Stellen" vor "alter Postelwitzer Gierseilfähre" zum großen Umzug. Der Kapitän hält eine festliche Ansprache und der Umzug wird nach traditionellen Regeln formiert. Zuerst kommt die "Spitze". Sie setzt sich wie eh und je auf die gleiche Weise zusammen.
Da wären zuerst die "Fleckelhanswürste", die in ihren bunt geflickten und mit Schellen besetzten Anzügen vor dem gesamten Umzug einhertanzen und für Ordnung und "freies Fahrwasser" sorgen. Dann folgen die "Vorläufer", der Wasserbeschützer "Neptun" mit dem Dreizack, dem langen grünen Kopfhaar und seinen goldenen Schuhen, der Kapitän mit seinen Mannen, den "Vermalern", welche bereits einen Tag zuvor die Straße als "Fahrwasser" bzw. Strom "vermalt" haben. Ein "Mal" mit einem Strohwisch gilt als gute Fahrrinne, ein zweifaches Mal bedeutet eine "Stromenge" und ein dreifaches stellt ein Hindernis dar. Ein solches ist natürlich am Gasthaus angebracht, da kann keiner vorbei!
Den Vermalern folgt der Fahnenträger, der stolz die Vereinsfahne des alten Schiffervereines "Fortuna" trägt. Die große Gruppe der "Weißen" schließt sich in der Tracht an, wie sie die alten Schiffer vor Jahrzehnten als Ausgehanzug trugen; weißes Hemd, dunkelblaue Hose, blaue Mütze, buntes Halstuch, buntgestickte Hosenträger und eine breite rote Schärpe, die um den Leib geschlungen ist. Der "kleine" Kapitän führt die Matrosen an. Diese tragen auf ihren Schultern die Fastnachtskähne, die reich mit bunten Bändern geschmückt sind. Heiratet z. B. ein Mädchen, so spendet sie ein von ihr selbst gesticktes Band, das dann am Kahn befestigt wird. So sind im Laufe der Zeit viele Bänder zusammengekommen.
Es fehlen natürlich auch nicht die Blumenmädchen und Marketenderinnen in ihren bunten Trachten. Sie verkaufen eifrig Blumen, die früher selbst hergestellt wurden, heute aber zumeist aus Sebnitz kommen. Die Marketenderinnen bieten Alkoholisches zum "Aufwärmen" an. Früher hatten sie kleine Schnapsfässer bei sich, heute bieten sie unterschiedliche Schluckfläschchen an. In der Spitze befindet sich natürlich auch die Blaskapelle. Ohne ihre zünftige Musik wäre der Umzug wohl nur halb so schön.
Es folgen die sogenannten "Rollen". Diese "Rollen" stellen Begebenheiten aus dem damaligen Schifferleben und lustige Ereignisse des Alltages dar, aber oft werden auch die kleinen Unzulänglichkeiten des täglichen Lebens humorvoll aufs Korn genommen, wobei der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind.
Nach dem Umzug ist für die Fastnachtsleute und für die Dorfbewohner noch lange nicht Schluß. Dann geht es erst so richtig los! Der Umzug wird aufgelöst, ein Jahr im Ober- und das ander Jahr im Unterdorf. Danach geht es für alle in die Häuser. "Landgang" ist angesagt! Die Gastfreundschaft ist an diesem Tage sprichwörtlich, denn ein jedes Haus steht jedermann offen, ganz gleich, wer da auch kommt. Was Keller und Küche hergeben, wird aufgetischt. Keiner bleibt hungrig oder gar durstig. Allerdings kommt es dann auch vor, daß mancher " Fahrensmann" schwankende Planken unter seinen Füßen spürt, denn das Dorf ist lang und hat viele Häuser, und ungastlich oder gar unhöflich möchte man doch nicht sein! Natürlich wird nicht nur gegessen und getrunken. Erinnerungen werden aufgefrischt, und es gibt auch viel über die einzelnen Rollen zu lachen, wenn sie ihren Schabernack treiben.
Dieser Landgang geht auf den alten Heischebrauch zurück Denn heischen heißt soviel wie verlangen oder erbitten, Die Blasmusik mit Neptun und Kapitän zieht inzwischen von Haus zu Haus und spielt Ständchen. Zum Dank werden auch sie reichlich bewirtet. Der Tag klingt mit dem großen Schifferball aus. Nochmals trifft sich alles auf der Straße und im bunten Zug, allen voran die Musik, geht's auf den Tanzsaal. Mit Musik, Tanz und Stimmung geht dann dieser schöne und erlebnisreiche Tag zu Ende.
Der neue Tag läßt aber nicht lange auf sich warten. Schon in den Morgenstunden trifft sich alles wieder Im Gasthaus, Egal, ob mit oder ohne Kater, der Frühschoppen kann beginnen! Der "Frühschoppen" zieht sich allerdings über den ganzen Tag hin bis in die Nachtstunden hinein, denn die Postelwitzer sind ein fröhliches und ausdauerndes Völkchen.
Die Kinderfastnacht
Um auch die junge Generation in diesen Brauch hineinwachsen zu lassen, findet meist 14 Tage nach der "Großen" die "Kleine Schifferfastnacht" statt. Auch hierbei ist fröhliches Treiben für kleine und große Kinder garantiert.
Das Schifferkränzchen
Das Schifferkränzchen bildet den endgültigen Abschluss der Schifferfastnacht. Alle Beteiligten treffen sich noch einmal. Früher füllte die Gesellschaft ganze Säle zum lustigen Tanz. Heute geht es zur gemeinsamen Unternehmung, meist zu einem erlebnisreichen Ausflug. Dabei lassen wir diese fröhliche, aber auch anstrengende Zeit ausklingen und sammeln Ideen für die kommende Schifferfastnacht.