Berichtsauszug (ca. 1900) von Herrn Moritz Martin zur Reinhardtsdorf-Schönaer Schifferfastnacht 

Es war ein Fest, an dem noch vor 30 Jahren das ganze Dorf den lebhaftesten Anteil nahm, ein Fest zu Ehren des im Dorf so stark vertretenen Schiffergewerbes. Der Schiffer ist noch zu Hause, doch jeden Augenblick kann, wenn der Februar herangekommen, Tauwetter eintreten und die Elbe für den Betrieb der Schifffahrt wieder frei werden, beziehentlich Eisgang eintreten und das am Ufer oder im Hafen liegende Fahrzeug der Bemannung bedürfen.

Eine richtige Schifferfastnacht alten Stils dauerte 4 Tage und 3 Nächte. Der Zauber des Festes lag darin, dass sich die männliche Jugend während der Dauer des Festes maskierte. Es war der reine Karneval von Venedig.

Der erste Festtag, der Hauptfesttag, zeigte ein buntes belebtes Bild. Den Mittelpunkt bildete eine Kostümaufzug von Haus zu Haus. Die Teilnehmer zerfielen in die Noblen, die Weißen und die weniger Noblen, die Schwarzen. Die Weißen bestanden aus dem Vorläufer, dem Schiffsdoktor mit Frau, dem Kapitän mit Frau, zwei Hanswursten und zwei Jungen, welche das Dorfheiligtum, das „Schiff“, trugen. Das „Schiff“ ist in der Regel das Modell eines Seeschiffes, wohl auch eines Elbschiffes, und ist mit vielen seidenen bunten Bändern behangen, denn jede junge Frau, das heißt neuvermählte Frau, war verpflichtet, dem Schiff ein Band zu opfern.

Jeder der ziemlich fein und anständig gekleideten Weißen sagte seinen Spruch, eine längere Anrede an die Hausbewohner, die freilich ein Jahr genauso lautete wie das andere und nicht ganz frei war von zweideutigen Bemerkungen.

Kaum aber hatte das Schiff das Haus verlassen, nicht ohne mit einem Geldstück bedacht worden zu sein, so drängten die Schwarzen ins Haus. Junge Burschen, die oft mit viel Mutterwitz die verschiedensten Stände nachzuahmen versuchten. Es erschienen Förster mit einem Hund an der Leine und mit übergehängtem Gewehr und der Jagdbeute an der Seite. Sie hielten gründlich Haussuchung, da der Wirt angeblich im dringendsten Verdacht stünde Holz gestohlen zu haben, im alten Dorfe oft keine unerhörte Tatsache. Natürlich entdeckten bald die findigen Förster das Gesuchte und verhängten sofort harte Strafen wegen des stattgefunden Holzdiebstahls. Ein kleines Trinkgeld aber besänftigte die aufgebrachten Forstleute, und sie wanderten sichtlich befriedigt zum Nachbar, bei dem sie sich zunächst wieder in sittlicher Entrüstung aufregten.

Ein Pseudonachtwächter, der schon seit dem frühen Morgen mit der brennenden Laterne im Dorfe umherlief, ein großes Zifferblatt auf dem Rücken trug und einem mächtigen Horn jämmerliche Töne entlockte und auf Wunsch alte Wächterlieder anstimmte, trat ins Haus und kassierte das angeblich fällige Wächtergeld ein. Auch wurden Naturalleistungen, Schnaps und Zigarren, bereitwilligst entgegengenommen. Der Briefträger kam und brachte die Einladung zu den bevorstehenden Festlichkeiten, namentlich zu dem großen Ball am Abend, bei dem jeder freundliche Geber herzlich willkommen war, im übrigen aber jedermann ungehindert Zutritt hatte. Fleischer erschienen mit der Mulde auf der Schulter und priesen ihre Ware an, meist Würste, die mit blutgetränkten Sägespänen gefüllt waren. Schuhmacher, Tischler, Bäcker, alle möglichen Handwerker sprachen vor und empfahlen ihre Kunst und ihre Ware.

Besonders gern gesehen und kopiert wurden die fahrenden Leute von der Landstraße. Wacholdersaftmänner, Königseer Wetzsteinleute, Scherenschleifer und Schweinehändler - jeder hatte alles bei sich, was zu seinem Geschäftsbetrieb nötig war und woran man ihn erkannte. Nur hatten die Talmischweinehändler statt der kleinen Schweinchen Kaninchen in ihren Körben und der Wacholdersaft war eine gräuliche Mischung verschiedener Ingredienzien. Aber gelacht wurde an dem Tag viel. Selbstverständlich begleitete das Schiff zur Belebung des Ganzen ein Musikchor, dessen vorhin geschilderte Mitglieder mit unverwüstlicher Ausdauer tage- und nächtelang aufspielten. So zog man mit anerkennenswerter Unparteilichkeit von einem Haus zum anderen. Man übersah wohl keine Haushaltung. Auch hinunter ins Elbtal ging der bunte Schwarm der Fastnachtsgäste, und der einsam wohnende Bahnwärter wurde ebenso beehrt wie der in der Dorfgemarkung abseits vom Dorfe hausende Müller.

Es kam schon der Abend heran, ehe sich die lustige Fastnachtsgesellschaft im Erbgericht zusammenfand. Hier war nun der geeignete Ort, an dem die ganze Nacht hindurch, wie man zu sagen pflegt, das Kalb ausgetrieben wurde. Besonders waren es die Hanswürste, die ihrer hohen Aufgabe voll und ganz gewachsen sein mussten. Bei Tage hatten sie die mutwillige Schuljugend in Schach zu halten, die sie auf Schritt und Tritt verfolgte, und bei Abend war es die noch mutwilligere Mädchenschar, die im Zaume zu halten man sich befleißigte. Um aber den Narrenabend noch mehr zu veredeln, schwang man sich in den letzten Blütejahren der Schifferfastnacht sogar bis zum Theaterspielen auf und gab unter ungeheurem Andrang Ritterschauspiele im Stil der Musenopfer, wie sie früher jedes Jahr die Witwe Magnus auf der Dresdener Vogelwiese dem Apollo darbrachte.

Doch alle Freude nimmt ein Ende. Es wurde nach toller Nacht auch endlich Morgen, und die ganze Narrengesellschaft bezog, so bekatert sie auch war, die gemeinschaftliche Herberge. Diese wurde beim Rockenstubenvater aufgeschlagen, dem Eigentümer einer der größten Wohnstuben. Kaum war der vorgeschriebene Morgenkaffee getrunken, so rückten die Burschen nach allen Seiten des Dorfes aus, um Lebensmittel herbeizuholen. Gekauft wurde nichts. Man nahm freiwillig gebotene Geschenke, Viktualien aller Art, oder während einige der Narren sich mit der Bäuerin über den gestrigen Abend freundlich und eingehend unterhielten, krochen andere bis in den Rauchfang, wenn es sein musste, um ein Stück Speck oder eine Wurst loszukriegen. Nichts hatte Friede vor diesen beutelustigen Burschen, weder das Fleisch in der Esse, noch das Kraut im Keller. Es wurde alles Genießbare zusammengeschleppt, Geschenktes und Gestohlenes, und dem weiblichen Teil der Jugend fiel die Aufgabe zu, die Eingänge kochkünstlerisch zu behandeln.

In den Mittagsstunden wurde nun unter großer Heiterkeit das gemeinschaftliche Mittagsmahl abgehalten, wobei das Menü sich durch große Abwechslung auszeichnete. Dem Magen, der in der Regel sich einer guten Beschaffenheit erfreute, wurde viel zugemutet und oft erzählt, wie mühsam es bei dem Einsammeln zugegangen sei. Für den Nachmittag vereinigte man sich wieder zu einem Gesamtunternehmen - das heißt, nur die Burschen. Man brachte verschiedenes nach bekannten und beliebten Motiven zur Darstellung. Bald waren es "böhmische Bettelmusikanten", bald eine ambulante Menagerie, bald ein Jauchewagen als Lokomotive, die sich langsam durch das Dorf bewegten. Abends war wieder grand bal masque in der Tanzberechtigten Dorfschänke.

Das waren die Hauptfesttage, und es war bei der Aufregung, die sich das ganze Dorf bemächtigt hatte, nicht leicht für den Schulmeister, die Disziplin unter der Schuljugend während des Unterrichts aufrechtzuerhalten. Warum sollten die Kinder vernünftig bleiben, wenn das ganze Dorf verrückt war? Welch große Bedeutung damals dem wichtigen Ereignis der Schifferfastnacht beigemessen wurde, erhellt daraus, dass es sich oft am dritten Tag die Männer nicht nehmen ließen, Fastnacht zu machen. Die Jugend wurde durch die Verheirateten abgelöst. Auch sie wollten einen Tag im Jahr unvernünftig sein, nachdem sie 364 Tage lang bei den Sorgen dieses Lebens vernünftig gewesen waren. Auch nahmen an allen diesen Umzügen nicht nur Schiffer lebhaften Anteil, sondern auch die Steinbrecher, die im Dorf beschäftigten Handwerksgesellen, die Bauernburschen usw. Ein kitzliger Punkt des Festes war das Begraben der Fastnacht am vierten Tag. Es scheint sich da im Laufe der Jahre hier und da eine gewisse Verspottung religiöser Gebräuche eingeschlichen zu haben, wie es bei den Eselsfesten im katholischen Süden zur Zeit des Mittelalters war, denn im Jahre 1850 zeigte der Pfarrer von Reinhardtsdorf die Geschichte bei der zuständigen Behörde an, und jeder Teilnehmer hatte - es waren 32 an der Zahl - 7 Taler und 8 Groschen Strafe zu zahlen oder 8 Tage zu sitzen. Man hatte eben den Spaß zu weit getrieben, hatte die, welche die Dummheiten nicht mitmachten, ausgelacht und gemeint, sie hätten keine Kultur, musste dann aber selbst für die Kulturbestrebungen schwer büßen.

Innerhalb der letzten 25 Jahre machte sich allmählich eine gewisse Animosität gegen das ganze, jedenfalls uralte Vergnügen bemerkbar. Geschädigte oder solche, die ungern etwas für harmlosen Unsinn ausgaben, machten bei der Amtshauptmannschaft Anzeige, und diese musste schließlich das Ganze arg beschneiden, so dass die ganze Festlichkeit jetzt einen ziemlich gerupften Eindruck macht und sich meist auf einen kleinen Umzug durch das Dorf mit dem alten Schiff beschränkt. So nivelliert sich alles, auch in dem ehedem so einsam gelegenen Walddorf. Die Welt wird immer nüchterner, verständiger.